Wirkprinzip von ADCs
ADCs sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (Antibody Drug Conjugates), die die Spezifität von Antikörpern mit der Wirkung von Toxinen verbinden. Antikörper erkennen Zielstrukturen (Antigene) auf der Oberfläche von Krebszellen und binden daran. Diese spezifischen Antikörper werden mittels einer chemischen Verbindung (Linker) mit Toxinen verbunden und das daraus entstandene Konjugat führt das Toxin direkt zur Krebszelle, wo das Toxin internalisiert wird. In der erkrankten Zelle wird das Toxin freigesetzt und zerstört die Zelle.
ADCs versprechen großes Potenzial in der Krebstherapie, weil sie gezielt Krebszellen vernichten können. Das therapeutische Fenster von ADCs, d.h. das Verhältnis von Wirksamkeit und Sicherheit, ist im Vergleich zu anderen Therapieformen vorteilhaft. Da die Technologie sehr spezifisch ist, also direkt an der Krebszelle wirkt, können systemische Auswirkungen minimiert und Nebenwirkungen vermieden werden. Darüber hinaus können ADCs auch auf ruhende Zellen und bei Patienten, die auf keine Behandlung mehr ansprechen, wirken.
Amanitin als innovativer Wirkstoff zur Krebstherapie
Heidelberg Pharma hat eine proprietäre ADC-Technologieplattform aufgebaut, die den Wirkstoff Amanitin nutzt. Amanitin hat ein einzigartiges biologisches Wirkprinzip, auf dessen Grundlage möglicherweise hoch wirksame innovative Arzneimittel entwickelt werden können. Amanitin gehört zu einer Gruppe von natürlich vorkommenden Giften, den Amatoxinen, welche unter anderem im Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) vorkommen. Das Unternehmen will diesen Wirkstoff erstmals für die Krebstherapie zugänglich machen.
Die Wirkung besteht in der Hemmung der RNA-Polymerase II, was bei Zellen zum sogenannten programmierten Zelltod (Apoptose) führt. Alle anderen bisher verwendeten Chemotherapeutika auch bei anderen ADCs sind in ihrer Wirkung entweder sogenannte Spindelgifte (Tubulin-Inhibitoren) oder wirken über die DNA, was sie abhängig von der Zellteilung macht. Die Hemmung der RNA-Polymerase II ist ein für die Krebstherapie neues Wirkprinzip und birgt die Chance, Therapieresistenzen zu durchbrechen oder auch ruhende Tumorzellen zu vernichten, was zu erheblichen klinischen Fortschritten führen könnte.
ATACs sind ADCs der dritten Generation, die sich durch eine verbesserte Wirksamkeit auch auf ruhende Tumorzellen auszeichnen. Ruhende Tumorzellen können mit bisherigen Standardtherapeutika kaum erreicht werden und tragen zu Tumorrezidiven und Resistenzbildung bei. Mit den ATACs sollen auch Tumore behandelt werden, die aufgrund von Therapieresistenzen nicht mehr auf eine Standard-Chemotherapie oder auf anti-tumorale Antikörper ansprechen.
YOUTUBE-Video: Prof. Andreas Pahl erklärt die ATAC-Technologie (2016; in Englisch) Link
Erweiterung der ADC-Technologieplattformen
Der Aufbau und die Erweiterung der eigenen ADC-Technologieplattformen steht im Fokus der Aktivitäten von Heidelberg Pharma. Neben Amanitin verwendet das Unternehmen seit dem Geschäftsjahr 2023 zusätzliche Wirkstoffe, wie den Topoisomerase-Inhibitor Exatecan oder den Toll-ähnlichen Rezeptor TLR7 mit immunstimulierender Wirkung, um bestmögliche ADCs für weitere Zielantigene und Einsatzgebiete zu entwickeln.
Bei dem Wirkstoff Exatecan handelt es sich um ein synthetisches Derivat des natürlich vorkommenden Toxins Camptothecin. Camptothecin ist ein Zytostatikum, das aus den Samen und Wurzeln, der Rinde, dem Holz sowie auch (jungen) Blättern des chinesischen Glücksbaums (Camptotheca acuminata) gewonnen wird. Es gehört zur Gruppe der Topoisomerase I-Inhibitoren. Topoisomerase ist ein Enzym, das für das Entwinden von DNA-Doppelsträngen während Prozessen wie DNA-Replikation und Transkription verantwortlich ist.
Der Wirkmechanismus von Topoisomerase I-Inhibitoren sind gezielte, reversible Unterbrechungen im DNA-Strang. Diese Hemmung des Enzyms bewirkt irreguläre, nichtbehebbare DNA-Schäden – wie Brüche und Vernetzungen – und kann somit das Zellwachstum und die Zellteilung beeinträchtigen, was in der Folge zum programmierten Zelltod (Apoptose) führt.
Diese Klasse von Wirkstoffbeladungen hat in den letzten Jahren positive Ergebnisse in klinischen Studien mit ADCs erzielt. Beispielsweise wurde das ADC Trastuzumab-Deruxtecan (Enhertu®), welches das Exatecan-Derivat Dxd als Wirkstoff verwendet, 2022 von der FDA für das HER2-positive, metastasierende Mammakarzinom zugelassen.
Gemeinsam mit der Binghamton University, State University of New York entwickelt Heidelberg Pharma eine innovative und proprietäre immunstimulierende Technologieplattform, die aus neuartigen, wirksamen, immunstimulierenden Substanzen (TLR-7 Agonisten) und einer ADC-Technologie besteht, die die Wirkstoffe direkt zum Tumorgewebe transportiert.
Die daraus resultierenden immunstimulierenden ADCs haben das Potenzial, das eigene Immunsystem des Patienten zu nutzen, um den Tumor für das Immunsystem sichtbar zu machen und damit bösartige Tumore anzugreifen und zu beseitigen. Diese immunstimulierenden Wirkstoffe könnten synergistisch mit zytotoxischen Wirkstoffen wirken, einschließlich ADCs, die auf der ATAC-Technologie von Heidelberg Pharma basieren.